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Neue Töne aus Itchys Kuriositäten Kabinett
Number
20
Year
1995
Date
----.--.--
Written By
Joe Asmodo

 

Neue Töne aus Itchys Kuriositäten Kabinett
1984 gründete der junge Detroiter Gregory John McCormick alias Itchy eine Band namens Shock Therapy. Nachdem dieser aufgrund gesteigerten Drogenmissbrauchs diverse Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken über sich ergehen lassen musste (daher der Bandname), fand er in dieser Gruppe die heilsame Möglichkeit, seine Aggressivität in Kreativität zu verwandeln. Schon ein Jahr später gelang der Durchbruch mit dem bis heute noch aktuellen Kulthit "HATE IS A 4-LETTER-WORD". Der Rest ist Geschichte - und doch wieder nicht. Denn mit "NO FEAR OF DEATH" (A.M. Music) feiert Itchy - Meister poetischer Absurditäten, musikalisches Chamäleon und unbezwingbares Stehauf-Monster - sein x-tes Comeback. Und wieder wartet er - wie sollte es auch anders sein - mit diversen Überraschungen auf. Doch der Reihe nach.

Das nach der Band benannte Debütalbum (mit dem besagten Kultsong) war binnen zwei Wochen restlos ausverkauft. Gerade in Europa, wo Bands wie Front 242 EBM-Musik salonfähig machten, waren Shock Therapy schnell in aller Munde. Doch Shock Therapy waren mehr als "nur" eine weitere EBM-Band. Schon früh zeichneten sich in der skurrilen Musik der Shock-Therapisten Einflüsse ab, die uns inzwischen als Industriel-Techno-Punk bekannt sind. Und so war es nicht verwunderlich, dass sich Itchy und Co. 1986 ins Zentrum dieser Bewegung, nach Deutschland, absetzten.

Doch der quirlige Itchy wäre nicht Itchy, wenn er sich auf dem erfolgreichen Rezept ausgeruht hätte. Immer wieder unbequeme, überraschende Stücke mit aufwühlenden und provokanten und abartigen Arrangements zu kreieren, war ihm wichtiger, als auf Teufel komm raus eine stetig wachsende Fan-Schar bei der Stange zu halten. So wurde es etwas stiller im Shock Therapy, nur Hartgesottene hielten der Band die Treue. Das könnte sich jetzt ändern, denn nachdem uns Itchy Ende 94 mit "SANTAS LITTLE HELPER" noch einmal bis dato unveröffentlichte Kuriositäten aus den Jahren 1987-94 aufgetischt hatte, liefert er nun mit "NO FEAR OF DEATH" satten, straighten und zukunftsweisenden Wave-Gothic. Satt und straight, da rhythmisch packend und opulent melodisch. Und zukunftsweisend, weil es Itchy zwar nicht lassen kann, Absurditäten in seine Songs einzuweben, diese aber den Gesamtcharakter der Stücke nicht aufweichen.

Mysteriöse Klangcollagen und beschwörende Intensität gehen auf "NO FEAR OF DEATH" Hand in Hand, wilde zweistimmige Gitarrenorgien ("I JUST WANT TO MAKE LOVE TO YOU") harmonieren prächtig mit wilden, abstrusen Streicherparts ("KILL ME"), aber auch wunderbar softe Wavesongs wie "DEPARTURE" die eindringliche Waveballade "COME AND DANCE WITH ME" oder das hitverdächtige "IF EVERYONE KNEW" schaffen es nicht, die Stimmigkeit des Albums anzukratzen.
Zur Stilvielfalt seines neuesten Streiches befragt, gibt sich Itchy lapidar:
Ich habe niemals an bestimmte Einflüsse oder Bezeichnungen wie Gothik oder Rock geglaubt. Ich höre Gary Numan und Nail Young, also Leute, die Stile sowieso transzendieren, und vielleicht ist ein bisschen von diesen Jungs in unserer Musik. Ausserdem war es eine grosse Freude, mit Wes Beech (Gitarre, d. Aut.) von den Plasmatics zusammenzuarbeiten. Die härteren Einflüsse auf dem Album sind wohl von ihm. Wes ist wirklich ein seltsamer Kerl.

Und wie kam es zu der sich nun verfestigenden Stilwende vom Electropunker zum straighten Wave- und Gothic-Heroen ?
Ich musste einfach in mich hineinschauen, um nach dem zu suchen, was mein wirklich eigener Stil ist, antwortete Itchy. Ich versuche, meinen (physischen) Wohnort keinen Einfluss auf meine Musik nehmen zu lassen, was in einem Scheiss-Loch wie Detroit verdammt schwierig ist.

Als weiteren Grund für den Stilwandel gibt Itchy an, dass er nicht viel zum Leben braucht. Damit will er wohl andeuten, dass er nicht auf den Riesenerfolg angewiesen ist - was allerdings etwas fraglich ist, wenn man die Liste von Lebensnotwendigem hört, die er mir aufzählte:
Rechnungen, Lebensmittel, Bier und Spielzeug... Spielzeug ? Yeah. Peitschen, Leder-Unterwäsche, Messer, Pistolen, chemische Substanzen...

Wenn man nicht all zu eng in Schubladen denkt, könnte man auch sagen, dass NO FEAR OF DEATH ein verrücktes RocknRoll-Album ist, das dieses Genre zu revolutionieren trachtet. Was meint Itchy wohl dazu ?
Das ist ein interessanter Gedanke, sinniert er. Aber ich glaube verrückt ist nicht das richtige Wort. Wir arbeiten mit der guten, alten Shock-Therapy-Art; stören oder irritieren passt besser. Ich irritiere mich übrigens auch oft selbst mit einigen abgefuckten Songs, die aus unserem Studio kommen. Ich habe eine witzige, kleine Stimme in meinem Kopf, die mir erzählt, dass die Leute eines Tages sagen werden, dass das, was ich jetzt mache, der Meilenstein einer neuen musikalischen Revolution sein wird. Wir haben immer und werden auch weiterhin den Leuten eine Absage erteilen, die lebenssichere Musik machen wollen. Deshalb wohne ich in den Detroiter Slums, während die Ausverkaufs-Musiker in teuren New Yorker Appartments leben.

Itchy war immer berühmt-berüchtigt für seine abartigen, provokanten Texte. Hat sich hier ebenfalls etwas geändert - wenigstens bei dem wirklich hitverdächtigen IF EVERYONE KNEW, das beinahe schon mainstreamig klingt ? Itchy lacht herzhaft.
Dieser Song ist weit, weit entfernt, sauber oder auch nur normal zu sein. Der Text sagt den Leuten, dass sie Glück haben, dass sie nicht wissen, was in meinem Kopf vor sich geht, dass ich in den Knast geworfen oder erschossen würde, würden sies wissen. Er erzählt ihnen auch, dass ich meine Selbstachtung durch das Malen horribler Selbstbilder und ständiges Masturbieren zerstöre. Natürlich masturbiere ich nicht, das habe ich nie getan, ich bin immer noch Jungfrau. - Und der Song wird ein grosser Hit werden ! Ansonsten sind meine Texte beschreibender geworden, ohne profan zu sein, aber das Ergebnis ist kränker als zuvor. Ich habe mich insofern weiterentwickelt, dass ich die Dinge weniger emotional und stattdessen mit mehr Intelligenz beschreibe. Aber ich bin immer noch ein fünfjähriger Junge, eingesperrt in einem alternden Körper. Dennoch bin ich wilder und versauter als jemals zuvor.
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